Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen mit 6 % p. a.

Wie geht es nun weiter?

Aufgrund des Rückgangs des Marktzinsniveaus mehrten sich Verfassungsbeschwerden, die insbesondere bei Festsetzung von Nachzahlungszinsen den gesetzlich geregelten Zinssatz von jährlich 6 % zum Gegenstand hatten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) klargestellt, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % für alle Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 verfassungswidrig ist. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

Für Verzinsungszeiträume von 2014 bis 2018 gilt der bisherige Zinssatz jedoch fort, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 bleibt es aber bei verlangter Neuregelung.

Es sind drei Fallgruppen zu unterscheiden, hierbei ist auf die Verzinsungszeiträume abzustellen:

Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2013: Regelung ist verfassungsgemäß.

  • Sofern Einspruch eingelegt wurde, dürfte dieser demnächst zurückgewiesen werden.
  • Sofern die Aussetzung der Vollziehung gewährt wurde, wird der ausgesetzte Betrag gezahlt werden müssen. 

Verzinsungszeiträume 2014 bis 2018: Regelung ist trotz Verfassungswidrigkeit weiter anzuwenden. 

  • Sofern Einspruch eingelegt wurde, dürfte dieser demnächst zurückgewiesen werden.
  • Sofern die Aussetzung der Vollziehung gewährt wurde, wird der ausgesetzte Betrag gezahlt werden müssen.
  • Sofern eine Zinsfestsetzung vorläufig erfolgt ist, wird die Finanzverwaltung die Vorläufigkeit aufheben.

Verzinsungszeiträume ab 2019: Gesetzgeber muss bis zum 31.07.2022 tätig werden. Damit sind z. Zt. Zinsfestsetzungen für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2018 unzulässig.

  • Betreffend die Nachzahlungszinsen wird von dieser Regelung nur derjenige profitieren, dessen Zinsbescheid vorläufig ergangen ist oder der gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt hat.
  • Betreffend die Erstattungszinsen steht zu befürchten, dass bereits ausgezahlte Zinsen zurück zu zahlen sind. Ob hier ein Vertrauensschutz gewährt werden könnte, ist stark umstritten.
  • Bestandskräftige Zinsbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk können aufgrund der anstehenden gesetzlichen Neuregelung nicht mehr geändert werden.

Über eine Änderung von bereits ergangenen Zinsfestsetzungen ab 2019 kann erst nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung entschieden werden. Falls Zinsbescheide bis zur ausstehenden Neuregelung weiterhin die bisherige, aber verfassungswidrige Verzinsung ausweisen und diese mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wären, müsste der Steuerpflichtige den verfassungswidrigen Zinsbetrag vorerst entrichten. Alternativ wäre die Aussetzung der Vollziehung durch einen Einspruch zu beantragen.

Im Hinblick auf die Aussetzung der Vollziehung von Zinsbescheiden ist zu beachten, dass laut BFH-Entscheidung keine Zinsen auf Zinsen, deren Vollziehung ausgesetzt ist, anfallen.

Des Weiteren könnte die Entscheidung Ausstrahlungswirkung auf andere Zinssätze im Steuerrecht wie der Abzinsung von Rückstellungen und Verbindlichkeiten entfalten. Ob die Abzinsungssätze somit noch als sachgerecht zu erachten sind, ist unklar. Strittige Fälle sollten gegenüber der Finanzverwaltung offengehalten werden.